Montag, 24. Dezember 2012

Kurt Tucholsky - Der Mensch

"Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.
Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.
Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle.
Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch den Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie auch Kultur, Kunst und Wissenschaft. Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren als man es gerade noch für möglich hält. Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die anderen auch nicht.
Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist wenigstens für diese Zeit sicher, daß er nicht davonläuft. Manche verlassen sich auf den Charakter.
Der Mensch zerfällt in zwei Teile:
In einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann. Beide haben sogenannte Gefühle: man ruft diese am sichersten dadurch hervor, daß man gewisse Nervenpunkte des Organismus in Funktion setzt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab.
Der Mensch ist ein pflanzen- und fleischfressendes Wesen; auf Nordpolfahrten frißt er hier und da auch Exemplare seiner eigenen Gattung; doch wird das durch den Faschismus wieder ausgeglichen.
Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen haßt die andern Klumpen, weil sie die anderen sind, und haßt die eignen, weil sie die eignen sind. Den letzteren Haß nennt man Patriotismus. Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht.
Schwache Fortplanzungstätigkeit facht der Mensch gerne an, und dazu hat er mancherlei Mittel: den Stierkampf, das Verbrechen, den Sport und die Gerichtspflege. Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden. Doch hat noch niemand sich selber beherrscht; weil der opponierende Sklave immer mächtiger ist als der regierungssüchtige Herr. Der Mensch ist sich selber unterlegen.
Wenn der Mensch fühlt, daß er nicht mehr hinten hoch kann, wird er fromm und weise; er verzichtet dann auf die sauren Trauben der Welt. Dieses nennt man innere Einkehr. Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedene Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, daß sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, daß sie alt sind, und Junge begreifen nie, daß sie alt werden können.
Der Mensch möcht nicht gerne sterben, weil er nicht weiß, was danach kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.
Im übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen läßt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.
Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse." Kurt Tucholsky 1931

http://www.yolanthe.de/

Meinen "verlorenen" Schwestern gewidmet:

Wir sollten uns gut überlegen, was WIR unserem Gewissen zumuten, denn wir dürfen nie vergessen, dass wir bis zu unserem Lebensende mit unseren Entscheidungen leben müssen und manche Entscheidung kann im Leben nicht mehr verändert werden, zumal wenn die durch unsere Entscheidung betroffenen Menschen sterben....dann bleibt keine Gelegenheit auf ein Wort der Versöhnung, der Entschuldigung, des Verzeihens, der Umarmung.....

"Für Euch

(Späte Erkenntnis)

Sie hielten mich in ihren Händen
als ich noch frisch und winzig war.
Sie schützten mich mit Adleraugen
vor jeder nahenden Gefahr.
Und mit den sorgend Händen stützten
sie mich bei meinem ersten Schritt
und holten mich auf festen Boden
zurück, kam ich mal aus dem Tritt.
Sie war'n mir nah auf meinen Wegen
und war der Abstand noch so groß
sie hielten mich, wann immer nötig
und ließen schnell mich wieder los.
Und wenn wir oft auch diskutierten
so war doch stets der Weg das Ziel
denn niemand konnte je verlieren
in diesem kräftemessend Spiel.
Ich weiß, ich werd noch mit euch streiten
wenn ihr schon längst woanders weilt,
und ahn, dass ihr von ganz weit oben
auch dann noch meine Sorgen teilt.
Erst jetzt beginn ich zu begreifen
dass unsre Rollen statisch sind
egal, wohin wir uns entwickeln,
ihr bleibt die Eltern, ich das Kind."

Ralf Theinert 2003

Dieses Gedicht als Dankeschön an die Eltern von Ralf Theinert gefällt mir sehr gut, denn es beinhaltet viel von dem was ich auch denke: Auch ich habe gestritten, mich mit den Eltern auseinander gesetzt, was wichtig für mich war, aber auch für sie, aber trotz Allem waren und sind meine Eltern meine Eltern.

Denn irgendwann ist es zu spät, es gibt kein zurück, und wir müssen mit dem was wir angerichtet haben, ein ganzes Leben leben. Und das kann sehr hart und sehr einsam sein.....kehren wir um...noch ist es nicht zu spät...noch nicht..ob schon viel, zu viel, passiert ist.....



 Die Bilder veranschaulichen noch einmal ganz deutlich, was im zitierten Gedicht über die Eltern gesagt wird: Sie haben uns gehalten...

Wünsche allen wahren und ehrlichen Freunden ein besinnliches ruhiges Weihnachtsfest.
 

Erinnerungen an meine Lebenszeit in der Suchthilfeeinrichtung "Die Fähre" in Essen vom 28.05.1982 bis 08.12.1986

Der Button der Band "AtmosFähre", die sich damals aus Mitarbeitern und Klienten der Suchthilfeeinrichtung "Die Fähre" bildete. Der Titel der Band "AtmosFähre" sagt etwas wesentliches über das Klima in der Fähre aus, das zur Genesung sehr wichtig war. Gewaltandrohung und die Ausübung von Gewalt führten zum sofortigen Rauswurf. Alle Klienten kamen mehr oder minder aus einer gewalttätigen Gesellschaft, und in einem solchen Klima kann man weder gesund werden noch gesund bleiben. Gesund werden und gesund bleiben kann ich nur, wenn ein offener, ehrlicher, weder von Gewaltandrohung noch von Gewaltausübung geprägter Umgang herrscht.
Hier ein Foto der Band "AtmosFähre", auf dem Innenhof der Suchthilfeeinrichtung "Die Fähre" in Essen. "Die Fähre" war ursprunglich ein Genesungsheim der Firma Krupp.



Ein sogenanntes Meeting in der Suchthilfeeinrichtung Die Fähre" Bei diesen Meetings wurde unter anderem auch die Befindlichkeit abgefragt, erörtert, ob es irgendwelche Probleme gab und Gelegenheit zu Feedbacks gegeben. Im Hintergrund sehen wir das Logo "Der Fähre", ein Fährmann, der übersetzt ans andere Ufer. Das war symbolisch zu sehen, für die Suchtkranken, die von einem süchtigem Leben in ein nüchternes Leben übersetzen. Ein solches Übersetzen birgt Gefahren, das Schiff, die Fähre kann kentern, die Besatzungsmitglieder und Übersetzende können untergehen. So kann es auch dem Suchtkranken ergehen, er kann auch beim Übersetzen scheitern und wieder rückfällig werden, trinken, Pillen schlucken, Drogen konsumieren, was auch immer, auf jedenfall sich seinem Leben, seiner Verantwortung für sich, entziehen. Es ist ein beschwerlicher und sehr gefährlicher weg, ich weiß es aus jahrzehntelanger Erfahrung.
Oben im Bild ist neben dem Logo der Fähre mit Schlips und weissem Hemd der Gründer der Fähre, Fred Kollorz, zu sehen. Ihm ist es zu verdanken und seinen Freunden, das es Menschen wie mir gelungen ist, dem Teufelskreis der Sucht zu entkommen und in meinem Fall fast drei Jahrzehnte zu überleben, rückblickend ein wahres Wunder...war ich früher nicht in der Lage, einen Tag ohne Stoff auszukommen....Danke Fred. Fred Kollorz ist vor wenigen Jahren 76jährig in Überlingen am Bodensee gestorben. Dort existiert eine neue Fähre, weil es im Jahre 1986 in Essen Probleme gab. Ich habe die Fähre in Überlingen besucht und mit Anne Kollorz, der Witwe von Fred Kollorz, sprechen können. Es war sehr schön für mich...nach so langer Zeit Freunde von damals wieder zu sehen.
Hier sehen wir eine Fotocollage, die mit sehr schönes Errinnerungen verbunden ist. In der Suchthilfeeinrichtung "Die Fähre" in Essen machten wir "fast" alles selbst, wir bauten unsere Häuser selbst, legten den Park an und pflegten ihn, wuschen und nähten unsere Wäsche, kochten unser essen selbst...fast autark versorgten wir uns selbst, um so den Suchtkranken ihr zerstörtes Selbstwertgefühl wieder aufzurichten, ihnen zu zeigen und die Erfahrung selbst machen zu können, du bist in der Lage, etwas wertvolles für deine Gemeinschaft in der Du lebst zu leisten. Jeder/jede wirkt an der entsprechenden Stelle und bringt seine Fähigkeiten mit ein. Auf den Bildern oben haben wir einen Auftrag ausgeführt, der darin bestand, 40000 Jungbäume in einem Waldstück einzuschlagen, also es wieder aufzuforsten. Das uns diese Arbeit sehr viel Freude bereitet hat, bedarf keiner Worte. Die Bilder und ein Blick in die Gesichter sprechen für sich.

Hier schlage ich gerade einen Jungbaum ein. Insgesamt haben wir damals, 1985, 40000 Jungbäume eingeschlagen.


Die folgenden Bilder sind eine ungeordnete Zusammenführung unterschiedlicher Aktivitäten in der Fähre. Sie sollen als Beleg dafür dienen, dass wir tatsächlich alles dort machten, auch unsere Häuser bauen, aber auch tanzen, sich amüsieren, dass mussten wir ja neu lernen, ohne Stoff, jahrelang, teilweise jahrzehntelang ging das nur mit Stoff, also Step by Step, Schritt für Schritt lernen, war sehr effektiv, ich zehre seit fast 29 Jahren von dem erlernten.

Gleichzeitig sind diese Bilder eine Würdigung all der Menschen, die ich dort kennen lernen durfte. Errinnerungen an eine für mich sehr bedeutsame Zeit im Leben, und nicht nur für mich, für hunderte...dass soll mit diesen Bildern deutlich gemacht werden, damit nicht alles in Vergessenheit gerät.

Eine besonders schöne Errinnerung an Freundin Iris mit entsprechender Widmung, die ich so schön finde, dass ich sie Euch nicht vorenthalten will:

Friedrich von Bodelschwingh über Trnker. Es ist schön und stärkend, mal etwas Positives über "uns" Suchtkranke zu lesen. 

 

 

Beseelt von der Hilfe zur Selbsthilfe - Artikel im Südkurier über den Gründer der Fähre Fred Kollorz anläßlich seines Todes im Jahre 2004.