Sonntag, 4. April 2010

In wenigen Wochen jährt sich zum 28 mal mein Ausstieg aus der Sucht...

und ich habe darüber nachgedacht, was wohl das Wertvollste gewesen sein kann, was ich in diesen fast 28 Jahren getan habe. Die Antwort lag sofort auf der Hand, ich musste nicht lange überlegen. Das wichtigste, was ich getan habe, war, für andere Menschen ein offenes Ohr zu haben, Ihnen zu zuhören, ehrliche Antworten auf das von Ihnen mir mitgeteilte zu geben, ein wenig Wegbegleiter sein, meine eigene Erfahrungen, die ich mit mir und anderen in diesen 28 Jahren bewußt gemacht habe, weiter geben, wie versuche ich mein Leben zu leben, worauf achte ich, was ist mir wichtig, wie gehe ich mit Krisen um, welche Werte sind mir wichtig, habe ich ein Fundament, auf das ich mein Leben aufgebaut habe, eine stabile Grundlage, die selbst Erschütterungen, die es in jedem Leben gibt, trägt, aushält, mich nicht umwerfen? Der Verlust geliebter Menschen, von dem ich, wie alle Menschen, nicht verschont geblieben bin, sei es der frühe Tod meiner Schwester Sabine im Dezember 1988, gerade einmal 29 Jahre alt geworden. Das war für mich eine sehr schwere Krise, Sabine war ein Jahr jünger als ich, die Zweitgeborene, wir verbrachten große Teile unserer Kindheit und Jugend miteinander, erst als meine Suchterkrankung immer extremere Formen annahm, trennten sich unsere Wege, ich geriet in die Obdachlosigkeit und verbrachte anschließend mehrere Jahre in diversen Langzeittherapien. In dieser Zeit hatten wir wenig Kontakt, ich mußte selbst erst einmal mein Leben neu ausrichten, die vergangenen Jahre verarbeiten, in denen ich anderen Menschen und mir viel Leid angetan hatte. Mit meinem von mir damals so empfundenen Scheitern fertig werden, ich stand vor dem Nichts, war hoch verschuldet, hatte keine Wohnung, kein Geld, keine Schulausbildung, keine Lehre, keine Freunde, keine Perspektive, ein gespanntes, von Misstrauen geprägtes Verhältnis zu meinen Eltern und Geschwistern, Ihnen hatte ich in meiner abhängigen Zeit viel Leid und Sorgen zugefügt, langsam mußte man sich annähern, Vertrauen zueinander aufbauen, Ängste akzeptieren, die bei allen vorhanden waren, ich könnte wieder rückfällig werden, mit meinem Leben nicht fertig werden, wieder zur Flasche, Droge oder Tabletten greifen. Ich mußte akzeptieren, lernen, dass Vertrauen nicht herbei geredet werden kann, ich muss es mir erwerben, durch Kontinuität in meinem Leben, mußte anderen Menschen und mir beweisen, vorleben, zeigen, dass es mir ernst damit war, mit dem Trinken aufzuhören.
Als ich noch trank, sagte meine leider viel zu früh verstorbene Schwester Sabine einmal zu meiner Mutter, es wäre besser für mich, ich sei tot, denn durch den permanenten exsersiven Drogen-, Tabletten-, und Alkoholkonsum konnte von Leben keine Rede mehr sein, es war ein dahin vegetieren.
Später dann, als ich schon mehrere Jahre nüchtern war, sagte dann meine Schwester zu meiner Mutter, sie sei froh, dass ich nicht gestorben sei an der Suchterkrankung, und ich bin sehr dankbar und sehr froh, dass ich noch einige Jahre mit meiner Schwester Sabine nüchtern verbringen konnte, sie noch Gelegenheit hatte, ihren Bruder kennen zu lernen und ich Gelegenheit hatte, an ihrem Leben teilzunehmen.
Das gilt auch für das Leben meiner Eltern, an dem ich teilnehmen durfte, bei meinem Vater bis zu seinem Tod im März des vergangenen Jahres. Ich war mit meiner damalgen Freundin Astrid an der Seite meiner Mutter und meines Vaters, wir unterstützten Sie in ihrem Leben, halfen, wo es nötig war. Auch im Garten meines Vaters griff ich ihm unter die Arme, da er kraftlos wie er war, dazu nicht mehr in der Lage war. Ich hätte mir zu dieser Zeit und auch heute die Hilfe meiner beiden Schwestern sehr gewünscht, aber leider sind beide Schwestern aus unterschiedlichsten Gründen nur mit sich selbst beschäftigt.
Egal was in den vergangenen zwei Jahren geschah, ich habe mich um alles alleine kümmern müssen, es hat mich viel Kraft gekostet, die Beerdigung meines Vaters, alle Formalitäten, vor, während und nach der Beerdigung meines Vaters habe ich zum Teil mit Hilfe meiner damalgen Freundin Astrid gemeistert, seit unserer Trennung im Oktober des vergangenen Jahres allein.
Seit Jahren haben meine Geschwister die Eltern allein gelassen, auch jetzt meine Mutter, keinen Kontakt..zur jüngsten Schwester nur sehr spärlich....Sollte man so miteinander umgehen, darf ein Mensch zulassen, dass Neid, Gier, Hasbsucht...ihn dermaßen verändern, dass er mit seinen Wurzeln bricht? Nicht für andere da sein wollen, gleichzeitig aber am angeblichen Erbe meines verstorbenen Vaters Ansprüche erheben...für mich an Charakterlosigkeit nicht zu überbieten...Mich machen diese ganzen Geschehnisse, dieses kalte herzlose Verhalten krank, es widert mich, wenn angeblich erwachsene mündige Menschen sich so verhalten, ich frage mich, was haben sie in ihrem Leben gelernt? Ich schreibe hier auch so offen, weil Kommunikation untereinander nicht möglich ist, da sich die andere Seite sperrt, und da ich aufzeigen will, dass die Verhältnisse in der eigenen Familie krank und traurig und teilweise einsam machen können.
Und manchmal fühle ich mich einfach überfordert, kraftlos, wütend, solche Dummheiten meiner Geschwister und Anverwandten ständig seit 28 Jahren nüchtern ertragen zu müssen, und dabei wollen sie noch ernst genommen werden, solche Menschen kann ich nicht ernst nehmen, die immer nur auf ihre Verletzungen schauen, über andere richten, ihnen keine Chance zur Veränderung, zur Annäherung einräumen....manchmal ist man auch einfach müde, des redens, des argumentierens, des Hinterherlaufens....
Unsere Familie war nie der Hort der Glückseligkeit, allein schon deshalb, weil beide Eltern selbst eine harte entbehrungsreiche Jugend und Kindheit hinter sich hatten. Mein Vater war mit seiner Mutter und seinen Geschwistern 1945 aus seiner Heimat Oberschlesien vertrieben worden, wuchs selbst ohne Vaterfigur auf, sein Vater, also mein Großvater väterlicherseits, starb als Obdachloser auf der Straße. Dieses Vertreibungstrauma mit Angst und Hunger und Elend und Demütigungen verbunden, begleitete meinen Vater ein Leben lang. Er war infolgedessen gefühlsmäßig sehr verschlossen, konnte keine Zärtlichkeiten und Nähe zulassen, das Leben bestand für ihn aus Kampf, sich durchboxen, das erwartete er auch von uns Kindern, es nicht zu schaffen, war Schwäche, man geht halt stur seinen Weg. Diese Haltung stand lange Zeit auch zwischen meinem Vater und mir, ich war sehr sensibel, zerbrechlich und kränklich als Kind...in den Augen meines Vaters schwach, nicht Durchsetzungsfähig, auf der einen Seite machten wir viel miteinander, wir arbeiteten auch nebenbei zusammen, als Junge in den Schulferien begleitete ich Ihn zur Post, er war ja Briefträger oder wie man heute sagt, Postzusteller. Ich half ihm dann im Revier, nicht ganz uneigennützig, bekam ich doch von den älteren Leuten dieses oder jene Present oder Geldstück. Da waren mein Vater und ich eine gute Einheit. Was meine Lebensführung anbetraf, mein Umgang mit Geld, später nach Ausbruch der Suchterkrankung sowieso, standen wir uns diametral gegenüber, mein Vater verachtete meinen Umgang mit Geld, wie ich es leichtfertig ausgab und versoff. Er war immer sparsam, handelte überlegt und Verantwortungsvoll und musste dann mit ansehen, wie sein Sohn so ganz anders mit Geld umging. Zumal mein Vater durch seinen selbst trinkenden Vater in der Kindheit traumatisiert war. Nun durchlebte er dies noch einmal am eigenen Sohn, so manche Tracht Prügel die ich bekommen habe, so sehe ich es aus heutiger Sicht, galt nicht mir, sondern dem Vater meines Vaters, Enttäuschung und Wut über den frühen Verlust des Vaters und über das mangelnde Vorbild das er abgab, schlugen im wahrsten Sinne des Wortes durch.
Aus Sicht meiner Eltern hatten wir eine schöne Kindheit, ohne Krieg, ohne Hunger, ohne Tod, ohne Vertreibung. Emotionale Bedürfnisse der Kinder nach Geborgenheit, Wärme, Zärtlichkeit, was meine Eltern selbst nicht erfahren hatten als Kinder, waren aus Sicht meiner Eltern nicht so wichtig, wir hatten aus ihrer Warte heraus gesehen, Luxussorgen, uns ging es doch gut.....
So wie meinen Geschwistern und mir gingen es bestimmt vielen Kindern meiner Generation....

Für mich ist das Schreiben hier Therapie, ich schreibe mich frei, was mich bedrückt, mich traurig macht, es muss, es soll raus....und vielleicht hilft es einigen Besuchern des Blogs, die sich wieder erkennen, ähnliches erlebt haben....Ich habe auch keine Lust es den stumpfen und tumben in unserer Gesellschaft gleichzutun, die alles in sich hinein fressen, verdrängen mit Alkohol, Tabletten und Drogen oder sonstigen Ablenkungen wegdrängen, ich will mich im wahrsten Sinne des Wortes in meiner Haut wohlfühlen, denn wenn ich so handeln würde, wäre dies mein Todesurteil. Ich kann mir nach so langer Trockenheit keinen Rückfall mehr erlauben, er hätte einen tödlichen Verlauf für mich. Und da ich heute und den Rest meines mir noch verbleibenden Lebens nüchtern bleiben will, diese Hölle der Abhängigkeit nie mehr durchleben will, bleibt mir nichts anderes, als auszusprechen,was mich krank zu machen droht. In dieser Hinsicht ist mein Weg manchmal ein einsamer Weg, es gibt wenige Wegbegleiter, die von Beginn meiner Nüchternheit bis heute diesen Weg mit mir gemeinsam gegangen sind. Dieser Weg lässt kein weglaufen, wegsehen, sich auf Dauer betrügen zu. er fordert von mir bedingungslose Aufrichtigkeit, zunächst mir selbst gegenüber, um in Einklang mit mir leben zu können, aber in Konsequenz auch anderen gegenüber. Es war nie ein leichter Weg, ich fühlte mich oft allein, verlassen, traurig, einsam. Es gab auch Zeiten, sie liegen schon einige Zeit zurück, da quälten mich über lange Zeit Rückfall- und Suizidgedanken, auf unterschiedlichste Weise führte ich in Gedanken auf perfide Weise meinen Rückfall durch und/oder meinen Suizid. Ich sah keine Hoffnung mehr für mich auf ein zufriedenes suchtfreies Leben, alles schien mir sinnlos, Besitz, Geld, Beruf oder sonst irgendetwas......Heute sehe ich all diese Krisen als Prüfungen an, denen ich mich stellen mußte, Jack London sprach in seinem Buch "König Alkohol" von der weißen Logik, die uns unerbittlich alles klar und kalt und nüchtern sehen lässt...das ganze unsinnige verzweifelte Tun und Handeln der Menschen.
Auch Ernest Hemingway durchlebte diese Prüfungen, die einem den Verstand rauben können und oder zum Suizid führen.
Das Leben ist eine Prüfung, eine Herausforderung, vom ersten Atemzug an bis zum letztem Atemzug. Keiner ist besser oder schlechter als der Andere. Wir alle, egal wo wir stehen, müssen uns diesen Prüfungen stellen....
Und deshalb bin ich milde, bin ich kein Richter meiner Nächsten, weil jeder/jede nur dieses eine Leben führt, ohne Möglichkeit der Wiedergutmachung. Wir Alle machen dabei Fehler, der eine mehr, der andere weniger..aber ich verabscheue zutiefst Menschen, die sich zum Richter über andere machen, ich bin kein Heiliger, ich habe eine Vorstellung vom Leben und eine Haltung dem Leben gegenüber. Nicht jedes Verhalten meiner Mitmenschen, auch mein eigenes nicht, findet meine Billigung. Entscheidend ist für mich immer, zeige ich mich einsichtig, bin ich gesprächsbereit, sehe ich Fehler ein....
Denn wie sagte Jesus:"Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein."
Mir geht es nicht um Steine werfen, sondern um Bewußtsein schaffen, denn wir brauchen Einander, wenn jeder des anderen Richter ist, ist bald niemand mehr für niemanden da..wir sind alle voller Schwächen...Miteinander leben ist nur mit Nachsicht, mit Milde möglich..mit LIEBE......Nur so....sonst gehen wir vor die Hunde, jeder Einzelne, und wir alle insgesamt.......

PS: Ich möchte dem Leser des Blogs noch ein weiteres Buch ans Herz legen und zar das Buch von Fritz Zorn "Mars". Fritz Zorn ist das Pseudonym des Schriftstellers des Buches, der an tödlichem Krebs erkrankt, mit der Gesellschaft, in der er gelebt hat, abrechnet. Das Buch habe ich vor ca. 29 Jahren gelsen, die Erschütterungen, die es bei mir hinterlassen hat, wirken bis heute nach. Selten hat mich die Lektüre eines Buches so ergriffen und mitgenommen. In mancher Hinsicht war es wie der Blick in einen Spiegel.

Und da die Zeiten Solidarität und Gemeinschaft nötiger machen denn je, ist es umso dringlicher....

Frohe Ostern  Randolf  Treutler